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PRO BAHN NRW e. V.

PRO BAHN NRW e. V.

Gemeinnütziger Fahrgastverband

Stellungnahme zum Antrag auf Freistellung der Eisenbahnstrecke Bocholt – Borken – Coesfeld (Strecke 2265)

von Betriebszwecken

Der Antrag steht im Widerspruch zu den Bestrebungen des NWL und des Landes NRW zur Reaktivierung der Strecke für den SPNV und ist mit Gesichtspunkten des Klimaschutzes nicht vereinbar.

Begründung

Der Fahrgastverband PRO BAHN, Landesverband NRW, ist erstaunt über das Ansinnen der Städte Bocholt und Rhede, die Bahnstrecke 2265 im Abschnitt Bocholt – Rhede von Betriebszwecken freistellen zu lassen. Der entsprechende Antrag auf Freistellung gemäß § 23 AEG beim Eisenbahnbundesamt ist nach Ansicht von PRO BAHN unzulässig, da das AEG eindeutig aussagt, dass nur dann Eisenbahnbetriebsgrundstücke freigestellt werden dürfen, wenn kein Verkehrsbedürfnis mehr besteht und langfristig eine Nutzung der Infrastruktur im Rahmen der Zweckbestimmung nicht mehr zu erwarten ist.

Dieser Tatbestand ist bei der Strecke Bocholt – Borken – Coesfeld definitiv nicht gegeben. Zum einen hat die im Januar 2020 vorgelegte, vom Nahverkehr Westfalen-Lippe in Auftrag gegebene Machbarkeitsstudie des Büro Stadtverkehr GmbH Hilden zur Reaktivierung der Strecke ein erhebliches Potential dieser Strecke ergeben (je nach Planfall bis über 5.000 Fahrgäste täglich im Querschnitt, zum erheblichen Teil Verlagerung vom MIV), wodurch das Verkehrsbedürfnis eindeutig belegt ist. Dabei haben die Gutachter die Fahrgastzahlen für die abschließend untersuchten kombinierten Betriebsvarianten 5 und 6, die mehr als eine stündliche SPNV-Bedienung zwischen Bocholt und Borken vorsahen und bei der Bewertung besonders gut abschnitten, gar nicht angegeben. Hier liegen die prognostizierten Fahrgastzahlen naturgemäß noch höher.

Dass bei der standardisierten Bewertung für alle Planfälle kein Nutzen-Kosten-Quotient über 1,0 ermittelt wurde, liegt daran, dass die Gutachter bezüglich der Zulässigkeit von Bahnübergängen den Worst Case angenommen haben, nämlich eine vollständige Entwidmung der Strecke von Betriebszwecken. Dies ist tatsächlich nicht der Fall. Insofern sind die angesetzten Kosten für den Streckenausbau mit Bau zahlreicher Über- und Unterführungen extrem überhöht.

Weiterhin mussten die Gutachter bei allen Planfällen außer Planfall 4 (Reaktivierung nur zwischen Bocholt und Rhede) den Einsatz von Dieselfahrzeugen unterstellen, da die angewandte Version 2016 der Anleitung zur Erstellung der standardisierten Bewertung noch keine Werte für Akkufahrzeuge vorsieht. Die in Kürze erwartete neue Version der Anleitung wird darüber hinaus auch andere Bewertungsmaßstäbe so verändern, dass eine erneute Bewertung der Strecke deutlich bessere Werte ergeben dürfte.

Zum anderen sieht die SPNV-Zielkonzeption 2032/2040 des Landes NRW (Landtags-Vorlage 17/6251) im Zielnetz 2040 die Reaktivierung der Gesamtstrecke Bocholt – Coesfeld vor. Im Betriebskonzept ist sowohl die Verlängerung der RE 63 (Münster – Coesfeld) bis Bocholt, mit Beschleunigung auf dem Abschnitt Münster – Coesfeld (Halt nur in Billerbeck), als auch die Verlängerung des RE 19 (Düsseldorf – Bocholt) bis Rhede unterstellt. So werden noch bessere Verbindungen als die in der Machbarkeitsstudie enthaltenen ermöglicht, nämlich ein Anschluss in Borken an den RE 14 in und aus Richtung Essen und ein Anschluss in Coesfeld an den RE 51 in und aus Richtung Gronau.

Dass die Strecke nicht im Zielnetz 2032 auftaucht, hat nicht mit geringerer verkehrlicher Bedeutung zu tun, sondern ist auf die bislang geringe Planungstiefe und den Umfang der notwendigen Infrastrukturmaßnahmen zurückzuführen.

Die regionalwirtschaftliche Bedeutung der Strecke liegt weniger in der Anbindung der drei Grundzentren Rhede, Velen und Gescher an das SPNV-Netz, sondern in der Verbindung der bedeutenden Mittelzentren Bocholt, Borken und Coesfeld untereinander sowie an das Oberzentrum Münster. Der gesamte Raum gehört nach der Typisierung ländlicher Räume durch das Thünen-Institut zur Kategorie „eher ländliche Räume/gute sozialökonomische Lage“. Insofern ist hier auch in Zukunft mit eher steigender Nachfrage zu rechnen, zumal auch die Bevölkerungsentwicklung eher positiv prognostiziert wird.

Nach Ansicht von PRO BAHN ist dies die regionalpolitisch bedeutendste Strecke von allen in NRW diskutierten SPNV-Reaktivierungsprojekten. Aufgrund der prognostizierten deutlichen Verlagerung von Fahrten vom MIV auf den SPNV dient sie auch dem Klimaschutz.

Aus unserer Sicht kann der für die Region ebenfalls wünschenswerte Schnellradweg

Bocholt – Rhede – Borken die SPNV-Reaktivierung verkehrlich keinesfalls kompensieren, da dieser eher die nachbarörtlichen Verkehre, nicht aber die längeren regionalen Verkehre aufnehmen kann. Ähnlich war es bei der Anfang des Jahres endlich fertiggestellten Elektrifizierung der Strecke Wesel – Bocholt. Auch hier ging es weniger um die bessere Verbindung der Städte Wesel, Hamminkeln und Bocholt untereinander, sondern um die umsteigefreie Verbindung von Bocholt und Hamminkeln in das westliche Ruhrgebiet und die Landeshauptstadt Düsseldorf.

Welche Bedeutung Streckenreaktivierungen in der Landespolitik eingeräumt wird, zeigt auch das Sondierungspapier der Landtagsfraktionen von CDU und Bündnis 90/Die Grünen, in dem bei den Maßnahmen zur Verwirklichung des Ziels einer flächendeckenden „Mobilitätsgarantie“ die Reaktivierung von Bahnstrecken als erstes aufgeführt ist.

Aus Sicht des Fahrgastverbands PRO BAHN sind daher die Voraussetzungen des

§ 23 AEG für eine Freistellung der Strecke 2265 von Betriebszwecken nicht erfüllt.

Das Ansinnen der beiden Städte ist abzulehnen.

Anlage

Ausschnitt aus dem NRW-Takt Zielnetz 2040, 1. Gutachterentwurf (Planungsstand

29.09.2021)